Stille Post Ganz Laut - Anschrei(b)en gegen Sexismus und Diskriminierung

Bewohnerinnen von JELLA haben sich in ihrer You-matter-Aktion mit Sexismus und Diskriminierung beschäftigt. Sie haben einen kreativen Weg gefunden, Ungerechtigkeiten sichtbar zu machen und dagegen ganz still laut zu werden. Lest selbst, was sie über ihre Aktion berichten:

„Es gibt weiße und braune Eier. Aber welche Farbe die Schale hat, ist eigentlich total egal. Es kommt auf den Inhalt an“, sagt Hildi und tippt mit dem Finger auf die Postkarte in ihren Händen. „Mensch-Sein ist das Gelbe vom Ei“, steht da drauf. Und: „Stopp Rassismus!“ Dazu hat die 16-Jährige zwei Hühnereier gemalt, deren Inhalt aus der Schale läuft – eins in braun und eins in weiß.

Eine Person hält eine Postkarte hoch, ein braunes und ein weißes Ei, beide sind zerbrochen, das Innere sieht gleich aus

Hildi hat mit pädagogischen und therapeutischen Hilfen von JELLA am Projekt „You matter“ teilgenommen. Zusammen mit ihren Mitbewohnerinnen hat sie insgesamt sechs verschiedene Postkarten entworfen. Damit, dass Mädchen und Frauen oft für das schwächere Geschlecht gehalten und deshalb als wehrlos abgestempelt werden, beschäftigt sich die Karte von Gini. Ein kräftiger Lauch mit weiblichen Attributen ist darauf zu sehen. In dicken Lettern prangt „Lauch-Power“ daneben. „Weil ich klein und schlank bin, haben Typen zu mir oft gesagt: ,Du Lauch kannst dich eh nicht wehren.‘“, erzählt Gini. Dagegen wollte sie anzeichnen. Die übrigen Karten beschäftigen sich mit der Diskriminierung von psychisch kranken Menschen, sexuellen Rollenklischees und sexueller Belästigung.

Ursprünglich wollten die Mädchen ihre Botschaften auf Sticker drucken und diese auf Straßenlaternen, Stromkästen und Mülleimer kleben. „Dazu mussten wir eine Alternative finden, weil Stickern als Vandalismus gilt und damit eine Straftat ist“, sagt Mascha Weidermann, die das Projekt zusammen mit ihrer Kollegin Anne Brockmann durchgeführt hat. Um auch mit den Karten viele Menschen zu erreichen, haben die Mädchen und ihre Betreuerinnen sie in ausgewählten Stuttgarter Cafés getragen. „Das ist eine bunte Mischung aus Locations, die von psychosozialen Trägern geführt werden, sich in der LGBTQ-Szene engagieren oder ein künstlerisches Konzept für junge Leute integriert haben. Da dürfte es eine Schnittmenge mit den Themen unserer Mädchen geben“, sagt Anne Brockmann.

Eine besondere Herausforderung war es, unterschiedliche Mädchen über den gesamten Projektzeitraum in die Arbeit zu integrieren. Die Kick-off-Veranstaltung mit dem Dokumentarfilm ,Woman‘ hatte die Wohngruppe im Juni 2021. Die letzten Postkarten wird sie voraussichtlich im Juli 2022 verteilen. In der Zwischenzeit sind einige Mädchen gekommen und gegangen. „Diejenigen, die die Karten entworfen haben, waren zum Teil andere als diejenigen, die das Brainstorming für die Themen gemacht haben. Und diejenigen, die sie verteilt haben, waren zum Teil wieder andere. Da galt es immer wieder, den Transfer gut hinzukriegen und alle mit ins Boot zu holen“, erzählt Anne Brockmann vom Verlauf. 

Eine Tafel mit vielen Zetteln, Ideen für Postkarten, Eine Hand zeigt auf einen Zettel

So kamen immer wieder auch neue Ideen hinzu. Als die Karten zwar gezeichnet, aber noch längst nicht digitalisiert waren, hatten die Mädchen den Vorschlag, einzelne Karten zum Beispiel auch an Politiker:innen zu verschicken. „Die Stopp-Rassismus-Karte hätten sie gern einigen Menschen aus der AfD zukommen lassen. Wir waren total beeindruckt davon, dass die Mädels immer wieder neue Ziele miteingebracht haben und an den Punkt sind, wirklich was zu bewegen mit ihren Karten. Andererseits wollten wir unnötigen Ärger vermeiden und mussten immer wieder gut abwägen und vermitteln, was geht und was nicht“, berichtet Mascha Weidermann.

Eine Person hält fünf Postkarten mit verschiedenen Motiven wie einen Fächer

Insgesamt haben die JELLAs 3.000 Karten zu verteilen. In den Cafés, die sie dafür ausgesucht haben, wird inzwischen fast überall auch Eiskaffee angeboten. „So macht Politik Spaß“, finden die Mädels – „in der Sonne sitzen, Eiskaffee schlürfen und Karten an die Leute bringen.“

Bilder und Text von JELLA

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